Redebeitrag anonym Demo 14.02.2020

Redebeitrag Demo 14.02.20

 

In einigen Statements und Veröffentlichungen der letzten Wochen zu den Geschehnissen auf Monis Rache, der Fusion (und wahrscheinlich noch vielen anderen Orten) wird immer wieder eine Fassungslosigkeit, dass „sowas in Linken, emanzipatorischen Räumen passiert“ geäußert.
Eine Fassungslosigkeit darüber, dass Menschen, die sowas machen, eben nicht irgendwelche gesichtslosen Menschen aus dem Internet sind, sondern unsere Genossen, Freunde und Beziehungspartner, mit denen wir zusammenleben, mit denen wir Wohnräume, Politgruppen und Betten teilen…
Und das ist beschissen. Und es ist gut, fassungslos, entsetzt und wütend zu sein!
Aber ist es wirklich so überraschend, wie es manche der Statements anmuten lassen, dass es solche Täter in dieser Szene genauso gibt wie überall anders auch?
Ich denke, wir wissen alle das sexualisierte Gewalt in dieser Szene keine Ausnahme ist.
Und dass auch Täter, wie die auf den genannten Festivals, weder Ausnahme noch Einzelfall sind, ist eine gruselige, aber wahrscheinliche Realität.
Und deshalb reicht es leider nicht, einzelne Menschen aus der Szene auszuschließen und noch 2-3 kritische Männlichkeitsgruppen mehr zu gründen – auch wenn das wichtige Schritte sein können.
Wenn wir nachhaltig etwas verändern wollen, müssen wir tiefer auf uns selbst und unsere eigenen Strukturen schauen.
Sexualisierte Gewalt ist eines der vielen hässlichen Gesichter des Patriarchats.
Den Weg dafür bereitet aber auch eine fest verankerte patriarchale Struktur in all unseren Köpfen.
In unserer Organisierung sehen wir es z.B. daran, welche Arbeit von den meisten Menschen immer noch überhaupt als politische Praxis verstanden wird. Das sind in der Regel die sichtbaren Dinge, wie z.B. auf einem Podium sprechen, Kongresse organisieren, Redebeiträge schreiben usw.
Awareness-Arbeit oder Unterstützungsarbeit von Menschen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, spielen sich oft im Hintergrund ab – oder bleiben gänzlich unsichtbar.
Dabei ist diese Arbeit so essenziell – um Menschen zu stärken, damit Menschen sich nicht alleine fühlen und Räume wieder (oder überhaupt erst) betreten können.
Diese „Polit-Reproarbeit“ wird nach wie vor zu einem großen Teil von FLINT*Personen geleistet. Diese „Polit-Reproarbeit“ ist eine Basis unserer Organisierung.
Aber auch wir als FLINT* Personen sind nicht frei von patriarchalen Denkweisen und müssen diese reflektieren.
Diese existieren nun mal nicht nur im Außen und sind nicht einfach weg, nur weil wir uns ohne Cis-Männer organisieren.
Auch in unseren Kreisen gelten z.T. patriarchale Standards, was Aktionen, Auftreten und Codes angeht und es ist es oft anerkannter, sich cool, hart und unnahbar zu geben, als Unsicherheiten und Schwäche zu zeigen.
Auch in unseren Kreisen gibt es z.T. große Unklarheiten und ein Fehlen von dauerhaften Strukturen, was gute und nachhaltige Unterstützung von Betroffenen von sexualisierter Gewalt angeht.
Es sind nicht selten die Betroffenen selber, die nach einer Weile irgendwie anstrengend werden, weil sie aus Krisen nicht mehr rauskommen. Die aus organisierten Zusammenhängen ausscheiden, weil sie Leistungsansprüchen von stundenlangen Plena und Orga-Aufgaben nicht mehr gerecht werden können.
Wie kommt es, dass es manchmal so schwer ist, langfristige, nachhaltige Strategien zu entwickeln, die dafür sorgen, dass sich Betroffene aufgehoben, verstanden und gestärkt fühlen?
Ich glaube es ist die verinnerlichte patriarchale Logik die uns daran hindert – denn der Kampf gegen das Patriarchat muss nicht nur im Außen, sondern auch in uns selbst stattfinden.
Im hektischen Großstadtleben geben wir dieser Auseinandersetzung oft wenig Raum.
Wir geben unsere Unsicherheiten nicht zu, weil wir in unseren Szenekreisen gelernt haben, dass Fehler und Zweifel keinen Platz haben.
Doch wir brauchen diese Auseinandersetzung mit uns und unseren Strukturen, um feministische Kämpfe dauerhaft zu stärken und sexualisierter Gewalt nachhaltig etwas entgegenzusetzen.
Lasst uns das nächste Mal innehalten, wenn wir wieder Betroffene nicht ansprechen, weil wir gerade zu beschäftigt oder zu unsicher sind.
Lasst uns gemeinsam eine Atmosphäre schaffen, in der wir Zweifel und Unsicherheiten aussprechen können.
Lasst uns gegenseitig die Anerkennung für den Support untereinander geben, den wir oft ganz selbstverständlich nebenbei und im Privaten leisten, als wäre das nicht mindestens genauso wichtig, wie die nächste große Veranstaltung mit zu organisieren.
Lasst uns weiter mit so kraftvollen Reaktionen wie heute, genauso wie mit dem Aufbau von langfristigen Strukturen, weiter für eine Gesellschaft kämpfen, in der ein sexistischer Alltag keine Normalität mehr ist!