Statement einer selbstorganisierten FLINT*A-Betroffenengruppe aus Berlin zu den „Spannervideos“ auf dem Festival Monis Rache

***TRIGGERWARNUNG: Sexualisierte Gewalt***

 

 

Wir, eine Gruppe von Betroffenen der Vorfälle sexualisierter Gewalt auf dem linken Festival “Monis Rache”, erheben unsere Stimme und beziehen zu den „Vorfällen“ Stellung. Wir sind uns bewusst, dass wir nicht für alle betroffenen Personen sprechen können, da es unmöglich ist für tausende potenziell betroffene FLINT*A (Frauen, Lesben, Inter, Nicht-binäre, Trans, Queers und Asexuelle) Personen zu sprechen. Trotzdem teilen wir FLINT*A die Erfahrung objektifiziert und sexualisiert zu werden [1]. Es ist gang und gäbe, dass in der medialen Berichterstattung vor allem über die Täter berichtet wird und die Betroffenen als passive Opfer dargestellt werden. Deshalb sind wir aktiv und laut und nehmen nicht länger hin, dass über uns und nicht mit uns gesprochen wird!
Anfang diesen Jahres wurde durch eine Reportage bekannt, dass ein Mitarbeiter des Festivals auf dem Festival heimliche Videoaufnahmen in Dixie-Klos gemacht hat. Er hat Aufnahmen von uns auf der Pornowebsite xHamster hochgeladen, verkauft und getauscht. Solche Plattformen sind Räume, in denen Gewalt normalisiert wird und nicht konsensuelle Handlungen als „Porno“ getarnt und vermarktet werden. Keine der gefilmten Personen wusste davon. Es gab Personen im Umfeld des Täters, die bereits seit mehreren Monaten davon wussten. [1] Diese Gruppe hat ihr Wissen weder mit den anderen Festivalveranstalter*innen noch mit den Betroffenen geteilt. Wir sind wütend und enttäuscht über dieses unverantwortliche Verhalten! Es hat dazu beigetragen, dass wir nicht persönlich informiert wurden, sondern aus einer öffentlichen Reportage über diesen „Vorfall“ erfahren mussten – ein Angriff auf jede* einzelne* von uns!
Wir erkennen an, dass die Gruppe aus dem Umfeld des Täters im Umgang mit dem Täter überfordert war, jedoch stellt dies in keiner Weise eine Rechtfertigung für das intransparente Verhalten dieser Gruppe dar. Diese Intransparenz setzt sich auch darin fort, dass noch immer nicht alle potenziell Betroffenen von dem Angriff auf uns erfahren haben. Wir fordern von den Organisator*innen des Festivals, dass sie alles ihnen Mögliche dafür tun, alle Festivalbesucher*innen in Kenntnis zu setzen und jegliche Informationen weiterhin transparent und zugänglich zu machen.
Wir als Betroffene haben uns selbstorganisiert, um die Angriffe auf Monis Rache aufzuarbeiten, uns gegenseitig zu unterstützen und das Thema sexualisierte Gewalt gegen FLINT*A Personen zum Politikum zu machen. Wir sind keine wehrlosen Opfer sexualisierter Gewalt, wir sind handlungsfähig! Und unser Engagement endet nicht im Umgang mit dieser einen Tat, denn sexualisierte Gewalt wird tagtäglich ausgeübt.
Immer wieder versuchen Männer Macht über unsere Körper zu bekommen. Nirgends sollen wir uns sicher fühlen, nicht einmal auf der Toilette. Heimlich werden FLINT*A gefilmt: beim Duschen, Pinkeln oder Umkleiden. Ungefragt wird auf der Straße unter den Rock oder in den Ausschnitt fotografiert. Das zeigen zahlreiche Fotos und Videos im Internet, die dort ohne unser Wissen und ohne unsere Zustimmung verbreitet und als “Porno” verkauft werden. Männer behaupten, sie würden mit den Videos ihrer „sexuellen Neigung“ nachgehen. Doch es ist keine sexuelle Neigung, es ist kein Fetisch, wenn etwas gegen den Willen oder ohne das Wissen der Beteiligten passiert. Es ist eine gewaltvolle Ausübung von Macht, die unsere Selbstbestimmung und Persönlichkeit zutiefst verletzt. Das ist sexualisierte Gewalt! [2]
Besonders schockierend und schmerzhaft ist die Erkenntnis, dass selbst vermeintlich feministische Räume von patriarchalen Strukturen und Gewalt durchzogen sein können. Auch hier sind Übergriffe die Realität und eine betroffenenorientierte Aufarbeitung ist oft nicht gewährleistet. Durch die Justiz ist keine angemessene Unterstützung zu erwarten. Die Gesetzeslage ist mangelhaft, sexualisierte Übergriffe werden von Justiz, Polizei und Politik bagatellisiert. Unter anderem führt dies dazu, dass Betroffene Übergriffe häufig gar nicht erst zur Anzeige bringen. Kommt es doch zur Anzeige, entsteht daraus selten eine Anklage und Verfahren werden fast immer eingestellt. Nur ein Bruchteil der Anklagen führt zu einer Verurteilung, bei der das Strafmaß meistens gering ausfällt. Das darf nicht sein! Es ist eine Errungenschaft, dass unser “Nein” seit 2016 auch vor Gericht gilt – doch was bringt unser „Nein“, wenn wir nicht gefragt werden?! Wir fordern aus diesem Grund Politik und Justiz auf, sexualisierte Gewalt ernst zu nehmen, sowohl im analogen als auch im digitalen Raum. Denn wir sind nicht nicht-betroffen, nur weil wir den Laptop zuklappen.
Es ist die Gewalterfahrung, die Erfahrung verletzbar zu sein und verletzt zu werden, die uns FLINT*A überall auf der Welt verbindet [1]. Lasst uns zu Verbündeten werden! Wir solidarisieren uns mit allen Betroffenen von sexualisierter Gewalt und Unterdrückung – mit den anderen Betroffenen FLINT*A durch die übergriffigen Filmaufnahmen auf dem Fusion-Festival 2019, mit den Tausenden, die in Südkorea unter dem Slogan #Mylifeisnotyourporn auf die Straße gehen, mit den FLINT*A, die unter anderem in Argentinien, Ecuador, Chile und Brasilien unter #NiUnaMenos gegen Femizide und sexistische Gewalt aufbegehren, mit FLINT*A im Iran, die sich unter dem Motto #MyStealthyFreedom gegen staatliche Eingriffe in die Selbstbestimmung von Frauen* wehren, mit den Frauen* die unter #metoo zu tausenden auf das gesellschaftliche Ausmaß sexualisierter Gewalt aufmerksam machen, mit den Frauen* die unter „Women Defend Rojava“ kämpfen und den „Women on Waves“, die sich für das Recht auf Abtreibung einsetzen.
WIR SIND LAUT, WIR SIND STARK, WIR SIND DA UND WIR SIND VIELE!!!
Teile dieses Statements entnehmen wir dem Aufruf zur Demo „Rache am Patriarchat – #mybodyisnotyourporn“ am 14.2. um 18 Uhr in Berlin. Solidarisch unterstützen wir unsere Schwestern* und Genoss*innen und danken ihnen für diesen großartigen Demo-Aufruf.
Dieses Statement kann gerne verbreitet werden!

 

 

[1] Dieser Absatz ist in Anlehnung an den Demoaufruf, der auch von Betroffenen geschrieben wurde: https://whatthefuck.noblogs.org/demo-monis-rache/
[2] Dieser Absatz wurde aus dem Demoaufruf übernommen, der auch von Betroffenen geschrieben wurde: https://whatthefuck.noblogs.org/demo-monis-rache/